Wahr gewordene WG-Träume
Ganz nach dem Motto Sharing is Caring scheint unsere Gesellschaft einem Wandel zu unterliegen. Um übermäßigem Konsum vorzubeugen, aber auch seinen CO2-Abdruck so gering wie möglich zu halten, setzen viele auf Kreislaufwirtschaft und Teilen von Gütern. Das Prinzip des Cohousings geht aber noch einen Schritt weiter, denn hier wird gleich der eigene Wohnraum geteilt.
Natürlich ist die Idee nicht neu. Zu Studenten-Zeiten ist es völlig üblich, sich den Wohnraum mit anderen Studenten zu teilen. Die WG hat praktische Gründe, man spart sich das womöglich ohnehin knappe Geld und teilt Freud und Leid des Studentendaseins. Freud und Leid wurden auch früher oft geteilt – damals bei generationsübergreifenden Wohnsituationen. Familien lebten zusammen, und zwar nicht nur die Kernfamilie. Nein, Oma, Opa, Tanten, Onkel, Nichten, Neffen – alle unter einem Dach. Damals nannte man das einfach nur „zusammenwohnen“. Jetzt würde man Cohousing sagen – modernes Wort, alte Idee. Heute jedoch besteht der Unterschied oft darin, dass nicht etwa Familien zusammenleben, sondern nicht blutsverwandte, aber ähnlich tickende Menschen. Besonders Covid hat dem Trend einen Aufschwung gegeben. Weg von Vereinsamung und dem überindividualisierten Städteleben, suchten viele wieder den Kontakt zu Gleichgesinnten und einer Verbindung, die über das Grüßen im Treppenhaus hinausgeht.
Geht so was auch in Südtirol?
Auch die Südtiroler interessiert diese Art des Zusammenlebens. Dank der Initiative „Cohousing Südtirol“ treffen Jung und Alt bei Seminaren zusammen, um sich zu der Thematik zu informieren. „Bei unseren Angeboten waren Menschen von Anfang zwanzig bis Mitte siebzig dabei“, berichtet Gerlinde Haller, Projektmanagerin und Prozessbegleiterin des Netzwerks. „Studenten, die das Modell aus ihren Universitätsstädten kennen, alleinstehende ältere Personen, die inzwischen allein im Reihenhaus wohnen und im Fernsehen mal eine Dokumentation gesehen haben, Menschen mit Beeinträchtigung, die sich eine Gemeinschaft wünschen.“ Diese Durchmischung sei möglich, „da es keine von außen festgelegte Rangordnung und Zuweisung gibt“. Noch gibt es hierzulande keine bekannten Projekte, in denen Cohousing tatsächlich gelebt wird. Das liegt vielleicht auch daran, dass es eine Hemmschwelle gibt und Informationen fehlen. Frau Haller berichtet dazu: „Wir haben den Eindruck, dass die Menschen selbst nicht gewohnt sind, eigeninitiativ das eigene Wohnen als Projekt und in einer Gruppe zu entwickeln. Die Fragen rund um Architektur, Rechtsform, Finanzierung, Gemeinschaftsbildung, Sozialraummanagement und Konfliktlösung müssen definiert und von Fachexperten begleitet werden.“ Die Bewohner bestimmen nämlich selbst, welche Rechts- und Finanzierungsform sie anwenden möchten. „Möglich ist alles, ob nun Genossenschaft, Verein, Stiftung, GmbH oder Mietshaussyndikat. Auch wie gewirtschaftet wird, entscheiden sie selbst – individuell, solidarisch oder gemeinsam. Ebenfalls für die Entscheidungsfindung und Konfliktlösung gibt es neben der uns so bekannten Mehrheitsentscheidung auch Soziokratie oder Systemischen Konsens.“
Das Allgemeinwohl im Vordergrund
Damit ein solches Projekt langfristig Bestand hat, ist „ausschlaggebend, dass es eine neue gemeinnützige Wohnform ist, weder Gewinnbereicherung noch Eigentumsspekulation, auch nicht soziale Bedarfe stehen im Vordergrund.“ Dabei sieht Frau Haller einen ganz klaren Nutzen für die Gemeinschaft, „denn solche Wohnprojekte könnten insbesondere für Gemeinden ein Gestaltungsinstrument sein. Sie garantieren nachbarschaftliches und selbstständig organisiertes Wohnen und alltägliche Unterstützungsnetzwerke und erreichen darüber hinaus die erweitere Umgebung durch die sozial-integrative Ausrichtung.“
Wer sich für diese Art des Wohnens entscheidet, entscheidet sich auch ganz bewusst, das Ego mal hintenanzustellen und im Sinne von allen zu agieren. Dafür bekommt er oder sie aber nicht nur eine Art erweiterte Familie, sondern einen Support und Rückhalt, der in unserer Gesellschaft oftmals wenig sichtbar ist. Beim Cohousing jedoch geht es nicht ohne das Miteinander. Ein Miteinander der Bewohner, aber auch ein Miteinander der Gesellschaft. Im Ausland sind es u.a. Stiftungen, welche als Vermittler zwischen Immobilieneigentümer und der Wohngruppe fungieren und den gemeinnützigen Wohnungszweck garantieren. Aktuell werden Gründungsstifter gesucht, die durch ihre Eigeninitiative dazu beitragen, gesellschaftspolitisch sinnvolle Projekte zu starten.
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