Streiten ohne zu verletzen
Für einen guten Streit braucht es etliche Fähigkeiten. Viele scheitern auch daran, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht kennen. Sie wissen nur, was sie nicht wollen – doch das reicht nicht.
Der Streit hat kein gutes Image. Er kostet Zeit und Energie, birgt die Gefahr von gegenseitigen Verletzungen und sogar Beziehungsbrüchen. Das grundsätzliche Problem dabei: Es geht meist nicht nur um eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern es sind auch reichlich Emotionen mit im Spiel. Dazu kommt: „Im Streit fühlen sich Menschen häufig angegriffen, in die Ecke gedrängt und nicht verstanden“, zählt Coach und Mediatorin Piroska Gavallér-Rothe aus der Schweiz auf. Diesen Gefühlen folgen häufig reflexartig Reaktionen. Manche gehen in den Kampfmodus, werden also laut und machen Vorwürfe. Andere flüchten, indem sie etwa das Telefonat beenden oder den Raum verlassen, auch das innerliche Abtauchen – erkennbar an Sprachlosig- und Einsilbigkeit – ist häufig. Das Problem, das Gavallér-Rothe bei all diesen Reaktionen sieht: Sie nehmen den Streitenden die Möglichkeit eines echten Austauschs und des Findens einer gemeinsamen Lösung. Denn ein Streit ist immer auch eine Chance, voneinander zu lernen und die Beziehung zu vertiefen. Gelingt es, fördert dies das gegenseitige Verständnis und damit die Verbindung zwischen den Menschen. Zu den Schwierigkeiten eines Streits gehöre zudem, dass mehrere Ebenen berücksichtigt werden müssen, die inhaltliche und die emotionale.
Streit – die Königsdisziplin der Beziehungsgestaltung
Womöglich kommt auch noch die Gefühlsebene des Gegenübers hinzu, falls dieser Probleme mit der Regulierung seiner Emotionen hat. „Das alles macht man nicht einfach mit links. Ein guter Streit braucht eine Menge kommunikativer Fertigkeiten, das will gelernt sein“, erklärt die Expertin Gavallér-Rothe, die einen guten Streit als „die Königsdisziplin zwischenmenschlicher Kommunikations- und Beziehungsgestaltung“ sieht. „Beleidigen, Schreien, den anderen klein machen – das alles geht gar nicht“, zählt Monika Scheddin, die als Coach in München arbeitet, einige Kardinalfehler auf. Wörter wie „alle, immer, nie, keiner“ werden zwar im Streit häufig verwendet, sind jedoch nicht zielführend. Ein heilsamer, verbindlicher Satz ist laut Scheddin dagegen: „Hilf mir zu verstehen“. Auch empfiehlt sie die „VW-Regel“ – statt eines Vorwurfs wird ein Wunsch geäußert.
„Ich-Botschaften“ sind kein Allheilmittel
In den gängigen Ratgebern wird zudem meist empfohlen, sogenannte „Ich-Botschaften“ zu äußern, damit sollen eigene Eindrücke, Gefühle und Bedürfnisse ausgedrückt werden. Es ist eben ein Unterschied, ob jemand mit dem Satz „Du bist schon wieder zu spät“ empfangen wird, statt mit „Ich hätte mir gewünscht, du wärst früher da gewesen“. Das Prinzip funktioniert jedoch nicht bei jedem Gegenüber. Im schlechten Fall spricht der eine mit den „Ich-Botschaften“ über seine Gefühle, und der andere reagiert darauf mit wenig einfühlsamen Sätzen wie „Über so was musst du doch nicht traurig sein“ oder „Du bist ja empfindlich“. Scheddin stellt hierzu klar: „Gefühle sind nicht diskutierbar“ – dies könne dem Gegenüber klar vermittelt werden. Auch ansonsten sind „Ich-Botschaften“ kein Allheilmittel, das unbegrenzt eingesetzt werden kann. Wenn jemand 5 Sätze hintereinander mit „Ich“ beginnt und dem anderen nicht die Möglichkeit zu einer Reaktion gibt, ist das wenig konstruktiv. „Man sollte sich auf wenige Punkte beschränken“, empfiehlt Scheddin.
Wie „Ich-Botschaften“ zu Vorwürfen werden
Und noch ein Problem gibt es mit diesen Botschaften: Sie sind oft Mogelpackungen, nämlich versteckte Vorwürfe, wie Gavallér-Rothe erklärt. Dazu gehören Sätze wie „Ich fühle mich ungeliebt, wenn du so etwas tust“ oder „Ich habe das Gefühl, unsere Beziehung ist dir völlig egal“. Auch ein mit leidender Stimme vorgetragenes „Ich bin total traurig“ fällt in diese Kategorie – gemeint ist damit durchaus vorwurfsvoll: „Schau bloß, was für seelische Schmerzen du mir zufügst“. „Das ist zusätzliches Öl im Feuer“, stellt Gavallér-Rothe klar. Denn Menschen fühlen sehr deutlich, ob jemand über sich selbst spricht oder im Grunde doch das Gegenüber meint. Für einen guten Streit braucht es zum einen Mut zur Auseinandersetzung und das Erkennen der eigenen Bedürfnisse. Laut der Erfahrung der Schweizer Mediatorin können Menschen jedoch häufig höchstens artikulieren, was ihnen nicht passt. Woran das liegt und was ihnen stattdessen wichtig ist, können sie nicht benennen. Auch müssen im Streit die eigenen Emotionen kontrolliert werden, um nicht etwas zu sagen, was später bereut wird oder den anderen verletzt. Schließlich können Wörter eine enorme Macht haben und lange nachwirken. Die Streitenden müssen natürlich dem anderen zuhören und auch bereit sein, ihn verstehen zu wollen.
Kurz vor der Eskalation hilft oft ein Toilettengang
„Verstehen heißt noch lange nicht zustimmen“, betont Coach Scheddin. Hilfreich ist es zudem, nicht jedes Wort des anderen auf die Goldwaage zu legen, so vermindert sich das Eskalationspotenzial. Wenn sich der Streit trotz aller Bemühungen Richtung Eskalation entwickelt, rät Scheddin zu einer Pause. Der Gang zur Toilette eignet sich hierfür bestens, diese wenigen Minuten genügen meistens beiden zur Abkühlung. Ansonsten sorgen Sätze wie „Ich merke, wie mich das sauer macht, das muss ich erstmal verdauen“ ebenfalls für die Zeit, um sich beruhigen zu können. Schwierig ist es allerdings, wenn das Gegenüber cholerisch reagiert oder gar beleidigend wird. Scheddin rät in solchen Fällen, klare Grenzen zu zeigen – etwa mit „Stopp, das dulde ich nicht“. Bei Streitigkeiten helfe laut der Coaching-Ausbilderin wie generell im menschlichen Miteinander Großzügigkeit, Humor und eine möglichst entspannte Haltung – schließlich geht es nur selten um Leben oder Tod. (dpa/tmn)
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