

So langweilig
Boreout
Krank vor Langeweile
Wir alle kennen das Gefühl der Langeweile. Ein eintöniger Bürotag, ein endloser Vortrag der Firmenleitung, Wochen der Flaute nach dem Weihnachtsstress – alles harmlos. Doch was, wenn Langeweile zum Dauerzustand wird? Wenn man jeden Tag dasitzt, ohne wirklich etwas zu tun zu haben, und man dauernd das Gefühl hat, nichts voranzubringen? Willkommen im Boreout – dem unterschätzten Bruder des Burnouts.
Boreout beschreibt die chronische Unterforderung am Arbeitsplatz (to bore someone = engl. jemanden langweilen). Das klingt erst einmal nicht dramatisch. Zu wenig Arbeit, na und? Doch genau darin liegt das Problem. Wer dauerhaft das Gefühl hat, dass seine Aufgaben bedeutungslos sind, wer unterfordert ist, sich nicht gebraucht fühlt, keine Entwicklungsmöglichkeiten im Job hat oder nie eine Anerkennung bekommt, der leidet irgendwann daran. Manche können mit diesem Gefühl recht gesund umgehen und es überwinden. Für andere hat es psychische und körperliche Konsequenzen.
Die schleichende Leere
Zum ersten Mal geisterte der Begriff Boreout in den 1970er-Jahren durch die medizinische Welt, damals vor allem im Zusammenhang mit Pflegeberufen. Im Deutschen schriftlich festgehalten wurde er hingegen erstmals 2007 im Buch „Diagnose Boreout“ der Unternehmensberater Peter Werder und Philippe Rothlin. Obwohl – der Begriff „Diagnose“ ist eigentlich gar nicht richtig. Denn obwohl sich mittlerweile zahlreiche Forschende mit dem Thema befasst und jede Menge möglicher Symptome genannt haben, fehlt nach wie vor eine einheitliche Definition. Boreout ist also nicht als Krankheit definiert und deshalb nicht als solche anerkannt. Die Abgrenzung von anderen Erkrankungen fällt offenbar schwer.
Einige typische Anzeichen für Boreout sind laut bisherigen Erkenntnissen:
- tiefe Erschöpfung, selbst ohne nennenswerte Anstrengung
- Antriebslosigkeit, bei der Arbeit ebenso wie im Alltag
- Schlafprobleme
- zynische Einstellung zur Arbeit und den Kollegen
- depressive Verstimmung und innere Unruhe
- körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magenprobleme
Geniale Schauspieler
Auch die Wiener Soziologin Elisabeth Prammer hat eine Forschungsarbeit zu Boreout gemacht und sich dabei nicht nur mit den Symptomen, sondern vor allem mit den Verhaltensstrategien Betroffener beschäftigt. Ihr Fazit: Wer an Boreout leidet, wird oft zum genialen Schauspieler. Er oder sie versucht, bei der Arbeit weiterhin ausgelastet zu wirken. Grund dafür ist die Angst, als faul abgestempelt zu werden. Betroffene scrollen zum Beispiel durch E-Mails oder dehnen kleine Aufgaben auf Stunden aus. Dieses Schauspiel kann jedoch langfristig zermürbend sein. Irgendwann kommt es so weit, dass ihnen jegliche Anstrengung wirklich zu viel wird und sie gar nicht mehr arbeiten können. Das Tückische an Boreout ist: Nach außen wirkt es nicht dramatisch. Betroffene scheinen ruhig, ausgeglichen. Dabei fühlt sich das innere Erleben ganz anders an.
Tipps vom Facharzt
Dr. Roger Pycha ist Primar der Abteilung Psychiatrie am Krankenhaus in Brixen. Dort hat er die Diagnose Boreout allein noch nicht gestellt, zumal das Phänomen eben nicht als eigenständige Krankheit erfasst ist. Dennoch präzisiert er: „Als Begleitphänomen von Depressionen tritt Boreout gar nicht selten auf.“ Zumal Dr. Pycha auch Psychotherapeut ist, hatte er schon mehrmals Patienten mit Boreout-Symptomen. „Sie projizieren ihre eigene innere Lust- und Energielosigkeit auf die Arbeit und schaffen es manchmal, in ihrer Untätigkeit nicht aufzufallen“, lautet seine Erfahrung. Interessant sei, dass Betroffene die Ursache ihres Zustandes als von der Arbeit ausgehend beschreiben. Bei genauer Nachfrage zeige sich aber, dass sie meistens auch im Privatleben, in der Familie und im Freundeskreis unter denselben Symptomen leiden: „Das führt dann zur Diagnose Depression.“
In den seltenen Fällen, in denen Boreout als Einzelphänomen auftritt, sei der Zustand gut zu behandeln, versichert Dr. Pycha. Einige seiner Tipps:
- das Gespräch mit dem Chef und/oder mit Arbeitskollegen suchen, um mehr oder neue Aufgabenbereiche zu erhalten
- sich in neuen Themenbereichen fortbilden
- versuchen, mehr soziale Kontakte im Arbeitsumfeld zu pflegen
- Hobbys und ein aktives Familienleben als Gegengewichte zur Arbeit pflegen
- Jobwechsel erwägen, wenn sonst nichts hilft
Allerdings räumt der Facharzt ein: „Wenn Betroffene gegen alle Ratschläge immun sind, könnte sich hinter den Boreout-Symptomen auch ein sehr niedriges Selbstwertgefühl verbergen.“ Das bedeutet, dass sich eine Person am Arbeitsplatz kaum etwas zutraut und von ihrer eigenen Schonhaltung derart beeinträchtigt wird und sich dermaßen daran gewöhnt, dass sie sie unbewusst keineswegs aufgeben möchte. „Wenn es so weit kommt, braucht es oft die Hilfe eines Psychotherapeuten, um auf Dauer mehr Farbe ins Leben zu bringen“, ist der Facharzt überzeugt.
Leiden Sie unter Boreout?
Der Test:
Im Buch „Diagnose Boreout“ definieren die Autoren mehrere Test-Fragen. „Wenn Sie mehr als 4-mal Ja eingesetzt haben, leiden Sie am Boreout oder sind auf dem schlechtesten Weg dorthin“, lautet ihr Urteil.
- Erledigen Sie private Dinge während der Arbeit?
- Fühlen Sie sich unterfordert oder gelangweilt?
- Tun Sie ab und zu so, als ob Sie arbeiten würden – tatsächlich haben Sie aber nichts zu tun?
- Sind Sie am Abend müde und erschöpft, obwohl Sie überhaupt keinen Stress hatten?
- Sind Sie mit Ihrer Arbeit eher unglücklich?
- Vermissen Sie den Sinn in Ihrer Arbeit, die tiefere Bedeutung?
- Könnten Sie Ihre Arbeit eigentlich schneller erledigen, als Sie dies tun?
- Würden Sie gerne etwas anderes arbeiten, scheuen sich aber vor dem Wechsel, weil Sie dabei zu wenig verdienen?
- Verschicken Sie während der Arbeit private E-Mails an Kollegen?
- Interessiert Sie Ihre Arbeit nicht oder wenig?
Dr. Roger Pycha
ist Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Systemischer Psychotherapeut, Primar der Psychiatrie im Krankenhaus in Brixen, Koordinator der Europäischen Allianz gegen Depression sowie des Netzwerks PSYHELP Covid-19.
Das könnte dich auch interessieren
Frisch auf den 
Keine Neuigkeiten
mehr verpassen!
Tipps, interessante Artikel und neue Jobanzeigen direkt per Mail. Wir informieren dich sofort, wenn etwas Passendes für dich dabei Ist.
Newsletter abonnieren