Umgestalten statt kündigen: Was steckt hinter Job Crafting?
Kündigen, Zeit absitzen, jeden Abend frustriert nach Hause gehen: Wer permanent unzufrieden mit dem eigenen beruflichen Umfeld ist, kann genau das tun. Oder es einmal mit Job Crafting versuchen.
Es fühlt sich einfach nicht oder nicht mehr richtig an: Der Job macht keinen Spaß, langweilt, frustriert oder ist einem einfach nur noch egal. Nicht wenige Menschen sind unzufrieden am Arbeitsplatz. Manche verharren dann in Jobs – und kündigen innerlich. Andere sehen die tatsächliche Kündigung als einzigen Ausweg. Wobei es passieren kann, dass sie von Job zu Job wechseln, ohne dass ihre Zufriedenheit mittel- oder langfristig wirklich steigt. Eine Lösung für dieses Problem kann Job Crafting sein.
Innenarchitekt des eigenen Jobs
„Dabei handelt es sich um eine Methode aus der Arbeits- und Organisationspsychologie, unter der man die aktive Gestaltung des eigenen Jobs versteht“, sagt die Hamburger Karriereberaterin und Psychologin Ragnhild Struss. Sie ist überzeugt: Für alle gibt es den richtigen Job, „in dem man wirklich man selbst sein kann, sein eigenes Potenzial mit Freude einbringt und dafür wertgeschätzt wird.“ Der Karrierecoach Volker Klärchen zieht diesen Vergleich: Wer Job Crafting betreibt, betätige sich als „Innenarchitekt für den eigenen Job“. Statt gleich umzuziehen, also zu kündigen, gestalte man die Arbeit so um, dass es für einen passt. Job Crafting als eine neue Modeerscheinung? Struss widerspricht. Job Crafting sei kein Trend und auch kein Privileg weniger. Vielmehr handele es sich um eine Schlüsselkompetenz der zukünftigen Arbeitswelt, die sich alle zunutze machen könnten: „Zufriedene Mitarbeitende sind motivierter und leistungsfähiger, was zu geringeren Fehlzeiten und sinkender Fluktuation führt – beides Wirtschaftsfaktoren, die man nicht unterschätzen sollte“, so Struss.
Nicht immer helfen kleine Veränderungen
Die Vorgehensweise bei Job Crafting ist so: „Man setzt sich in Ruhe hin und reflektiert den eigenen Job“, erklärt Klärchen. Was ist wichtig? Was fehlt mir? Welche Aufgaben möchte ich mehr machen, welche möchte ich abgeben? Oft sind es schon kleine Veränderungen, die große Wirkung erzielen können. Struss nennt ein Beispiel: Beschäftigte, die sich im Großraumbüro schlechter konzentrieren können und daher mehr Stress empfinden, können durch einen Wechsel des Büroraums oder der Arbeit im Homeoffice Abhilfe schaffen. Manchmal liegt das Problem tiefer. Womöglich hilft dann ein umfassender Blick auf die eigene Lebenssituation. Struss beschreibt diesen Fall: Bei einem Angestellten haben sich Werte und Prioritäten verschoben, seit er vor einem Jahr Vater geworden ist. Durch die Analyse stellt er fest, dass die Aufgaben und Verantwortlichkeiten seines Jobs nicht mehr zu seinen Ansprüchen an Sinn und Nachhaltigkeit passen, die für ihn eine immer größere Rolle spielen. Die Lösung könnte vielleicht so aussehen: Er gibt in einem Bereich Aufgaben ab, um in einem anderen Bereich mit neuen Projekten das Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen zu fördern – und damit wieder seinen Werten entsprechend zu arbeiten.
Verantwortung übernehmen
Wer mehr Klarheit darüber erlangt hat, was sie oder er im Job möchte und was nicht, sollte in jedem Fall als erstes mit der jeweiligen Führungskraft über die eigenen Wünsche sprechen. „Sobald sich beide Seiten einig sind, geht es darum, die übrigen Teammitglieder dazu zu holen“, sagt Klärchen. Ihm zufolge muss aber auch klar sein: Mit Job Crafting erarbeitet man sich Freiheiten, aber auch Verantwortung. „Es ist schwierig, alles wieder zurückzudrehen, wenn man etwa feststellt, dass die alten Aufgaben doch besser waren als die neuen“, so Klärchen. Allerdings ist Job Crafting nicht immer die beste Lösung. „In manchen Fällen ist die Situation so eingefahren, dass auch ein noch so gut geplanter und durchgeführter Job-Crafting-Prozess nicht zur Steigerung der Zufriedenheit führt“, erklärt Struss. Dann sei eine Kündigung unvermeidbar. Unterm Strich lohne sich Job Crafting aber in jedem Fall. „Denn dabei lernt man, was man braucht, um zufrieden und gesund zu arbeiten“, so Struss.
Nichts überstürzen
Der Karrierecoachin zufolge gibt es aber Lebenssituationen, in denen kaum Kraft übrig ist, sich diesem Prozess zu widmen. Das könne sein, wenn man etwa mitten in einer Scheidung stecke, einen schweren Verlust verarbeiten müsse oder unter gesundheitlichen Problemen leide. Dann sollte man sich zunächst diesen Bereichen widmen und erst später die Arbeitssituation klären. Allerdings liegt die Unzufriedenheit nicht immer bei der Arbeit. „Manche stellen bei der Job-Crafting-Analyse fest, dass der private Alltag anders organisiert werden müsste oder dass die Beziehungssituation permanent Energie zieht“, sagt Struss. Dann sollten Betroffene Veränderungen in anderen Lebensbereichen angehen. „Das kann etwa eine andere Art der Kinderbetreuung sein, eine Paartherapie oder auch ein neues Hobby“, zählt Struss auf. Alles Dinge, die wieder mehr Freude ins Leben bringen und für Ausgleich sorgen. (dpa/tmn)
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